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- November 05, 2018
Durch die grüne Hölle – Sahara, Himalaya und jetzt Dschungel – der Steirer Christian Schiester hat auch den dritten Etappen-Marathon unter extremsten klimatischen Bedingungen erfolgreich geschafft. Nach 202 km und einer Laufzeit von 39 Stunden, 51 Minuten und 17 Sekunden belegte der Österreicher beim „Jungle Marathon“ im brasilianischen Amazonasgebiet Platz drei. Das sind bloß die reinen Fakten – beim wohl brutalsten Etappenrennen der Welt.
Alter do Chao am Rio Tapajos im Bundesstaat Para, 15. Oktober 2006, High Noon: Christian Schiester läuft laut brüllend durchs Ziel des Jungle Marathon, ballt beide Fäuste und fällt nur wenige Meter nach dem Zielstrich entkräftet auf die Knie. Die Gratulationen der Konkurrenten oder jene von Renndirektor Robert Pollhammer nimmt er wahr wie in Zeitlupe. Schiester: „Dein Körper gehorcht dir genau bis ins Ziel. Dann bleibt er automatisch stehen.“ Er hat die brutalsten sechs Kilometer seines Lebens hinter sich.
Zwei Stunden für 18, zwei Stunden für 6 Kilometer …
Dabei liegt der Mann mit dem Ruhepuls von 31 Schlägen bis zum 196. Kilometer des irren Rennens im Norden Brasiliens auf Siegeskurs. Zwölf Minuten Rückstand hat Schiester vor der letzten Etappe über 24 Kilometer von Aramanai nach Alter do Chao auf den führenden Engländer Jamie Lowe. Bis zum letzten Checkpoint macht der Österreicher die Hälfte davon gut – und kommt als Zweiter nach 1:57 Stunden zur Wasseraufnahme. „Ich musste voll anlaufen und volles Risiko gehen.“
Aber nur wenige Meter nach dem Checkpoint direkt am Strand des Tapajos ist Schiester bei 52 Grad nicht mehr Herr seiner Sinne. „Ich hatte ein lautes Dröhnen im Kopf, hab fast nichts mehr gesehen und hab’ nicht mehr gewusst, wo ich eigentlich bin.“ Schiester schleppt sich hinunter zum Fluss, kühlt seinen überhitzten Körper, schreit vor Schmerzen. Ein groteskes Bild: Rund um ihn badende und freudig herumtollende Kinder – ein ganz normaler Sonntag in Brasilien.
Lauf auf Rasierklingen
Schiester reißt sich die Tapes von den mit eitrigen Blasen übersäten Fußsohlen, taumelt weiter, verfällt dann in leichten, schmerzvollen Trab und erreicht das Ziel. „Für die letzten sechs Kilometer hab’ ich genauso lange gebraucht, wie für die ersten 18 dieser Etappe.“ Beide Fußsohlen sind ein Meer von Blasen. Zurück in der Steiermark verliert er rund 50 Prozent der Haut an beiden Füßen. „Ich musste noch nie solche Qualen ertragen, es war, als liefe ich auf Rasierklingen.“
Schlangen auf der Flucht
Die letzten sechs Kilometer sind nur der finale Höhepunkt eines extremen Abenteuers. Schiester trägt seine gesamte Verpflegung und Ausrüstung – rund elf Kilogramm – auf dem Rücken. Geschlafen wird in Hängematten. Die Moskitos und Ameisen scheinen nur auf die vielen Läuferbeine zu warten (62 starten, davon kommen nur 37 durch; der langsamste braucht 77 Stunden): „Meine Beine sehen aus als hätte ich Rotlauf“, notiert Schiester nach der 1. Etappe in sein Tagebuch.
Auf der Königsetappe über 87 Kilometer ist der 39-Jährige knapp 17 Stunden unterwegs – natürlich auch im Dunkeln. „Es war unheimlich. Grüne und gelbe Augen haben uns aus dem Dickicht beobachtet. Schlangen und Vogelspinnen sind vor unseren Schritten geflüchtet.“ Und wenige Minuten vor dem Start dieser Etappe ziehen Bauern ein acht Meter langes Krokodil aus dem Fluss – und zwar 500 Meter von jener Stelle entfernt, an der die Läufer schwimmend das andere Ufer erreichen mussten …
Nord- oder Südpol?
„Ich hab mein Ziel, einen Platz unter den Top drei, erreicht“, bilanziert Schiester. Beim Sahara-Rennen „Marathon des Sables“ war er 2003 Zwölfter geworden, den Himalaya Run 2004 hatte er gewonnen. „Jetzt hab ich das Heißeste, Höchste und Urwüchsigste hinter mir – fehlt eigentlich nur noch ein Marathon, dort wo es am kältesten ist.“ Ihm kann geholfen werden: Das gibt es am Nord- wie auch am Südpol.
Das Ergebnis
1. James Lowe (GBR) 38:47:04 Stunden
2. Helton Bastos de Padua (BRA) 39:22:26
3. Christian Schiester (AUT) 39:51:17
4. Renee Heintz (FRA) 42:41:32
5. Guy Evans (GBR) 44:31:08
6. Freddy Keeling (GBR) 45:07:49